Unterwegs auf „frommen“ Spuren

Das Franziskanerkloster in Wschowa. @ Jill-Francis Käthlitz Das Franziskanerkloster in Wschowa. @ Jill-Francis Käthlitz

Post aus Wschowa und Leszno

Ob in Kirchen, auf Friedhöfen oder im Museum – in den Provinzstädten Wschowa und Leszno ist die spannungsvolle deutsch-polnische Geschichte der Region im Westen Polens besonders greifbar. Da lebten Menschen verschiedener Konfessionen – Katholiken, Protestanten sowie Juden – über Jahrhunderte hinweg eng beieinander. Ein persönliches Bild der Entwicklung dieser Region konnte ich mir im Oktober letzten Jahres auf einer „frommen“ Exkursion machen. Gemeinsam mit drei weiteren Studierenden aus Halle an der Saale erkundete ich die historischen Spuren.

Doch was hat uns Studierende der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in die westpolnische Provinz verschlagen? Den Anlass dazu lieferte das Seminar „Fromme Briefe aus Fraustadt – Quellen zu den Kontakten der Franckeschen Stiftungen nach Polen-Litauen“. In den Sitzungen besprachen wir Briefe, die im 18. Jahrhundert von deutschen lutherischen Theologen aus dem polnischen Wschowa verfasst wurden. Die Empfänger der Briefe waren Leiter der Franckeschen Stiftungen zu Halle: August Hermann Francke bzw. sein Sohn Gotthilf August Francke. Dass als krönender Abschluss des Seminars eine Exkursion zu den thematisch relevanten Schauplätzen in Polen stattfinden konnte, ist der großzügigen Unterstützung des Kulturreferats des Bundes für Westpreußen zu verdanken.

Besser als ein Krimi: Auf Spurensuche in Wschowa

Begleitet von Marta Małkus, Direktorin des städtischen Museums Wschowa, durchliefen wir eine faszinierende Entdeckungstour. Dabei war der evangelisch-katholische Antagonismus in der Geschichte der Stadt allgegenwärtig. Beispielsweise erfuhren wir, dass die ansässige Pfarrkirche im 16. Jahrhundert ein Zentrum der lutherischen Reformation bildete, aber 1604 der katholischen Gemeinde übergeben und im 18. Jahrhundert vom Jesuitenorden übernommen wurde.

Ein Obelisk und dahinter die Pastorenkapelle auf dem evangelischen Altstadtfriedhof („Lapidarium“) von Wschowa. © Jill-Francis Käthlitz
Ein Obelisk und dahinter die Pastorenkapelle auf dem evangelischen Altstadtfriedhof („Lapidarium“) von Wschowa. © Jill-Francis Käthlitz

Der Bernhadinerkonvent
Weiter ging es zum Gebäudekomplex des Franziskanerklosters. In dem „Bernhardinerkonvent“ – Franziskanermönche werden in Polen Bernhardiner (auf Polnisch: „Bernardyni“) genannt – aus dem 17. Jahrhundert kam uns eine mörderische Episode aus den „frommen Briefen“ in den Sinn: Ende des Jahres 1738 erschoss ein Student des Jesuitenkollegs seinen Professor und sprang daraufhin über die Mauer des Klosters, um bei den Bernhardinern Asyl zu suchen. Und die Bernhardiner gewährten ihm Asyl – zum Ärger der Jesuiten, die die Herausgabe des Mörders forderten. Das berichtete Samuel Jancovius, der von 1729 bis zu seinem Tod 1759 lutherischer Oberpfarrer in Wschowa war, in einem Brief an Gotthilf August Francke am 2. Dezember 1738. Er klagte darüber, dass die Jesuiten aus diesem Grund ein Verbot sämtlicher Gottesdienste in der Stadt erwirkt hätten. Den Mörder lockte diese Maßnahme garantiert nicht aus dem Kloster, aber dass die Jesuiten aus ihrem Frust heraus sogar den Lutheranern der Stadt die Gottesdienste verbieten konnten, zeigt, wie mächtig sie waren. Und das, obwohl damals in Wschowa die Lutheraner zahlenmäßig überwogen! Wschowa war in dieser Zeit eine der bedeutendsten Hochburgen des Luthertums in Polen-Litauen.

Der geheimnisvolle evangelische Friedhof

Spannende Geschichten hörten wir auch auf dem evangelischen Altstadtfriedhof von Wschowa, der heute „Lapidarium“ genannt wird. Er zählt zu den ersten Friedhöfen des neuzeitlichen Europas, die außerhalb der Stadt und nicht mehr nach mittelalterlicher Tradition ringsum eine Kirche angelegt wurden. Deshalb ist er ein ganz besonderes Kulturdenkmal in Europa. Hier haben Persönlichkeiten, die uns aus dem Seminar bekannt waren, ihre letzte Ruhestätte gefunden. So auch der oben genannte Samuel Jancovius. Geradezu andächtig standen wir vor seiner Gedenkplatte an der alten evangelischen Pastorenkapelle.

Das Kripplein Christi in Wschowa. @ Jill-Francis Käthlitz
Das Kripplein Christi in Wschowa. @ Jill-Francis Käthlitz

Ein magischer Ort: Das „Kripplein Christi“

Das Kripplein Christi wurde von der lutherischen Gemeinde nach dem Verlust der Pfarrkirche im Jahre 1604 erbaut. Diesen Ort zu betreten, war für uns ein magischer Moment, denn hier haben einst jene beiden gewirkt, von denen wir uns durch die Lektüre der „frommen Briefe“ ein lebhaftes Bild gemacht haben: der bereits genannte Jancovius sowie der um 1720 in Wschowa tätige Hauslehrer und Hilfspfarrer Carl Friedrich König. Anhand einzelner Szenen, die wir aus den Briefen kannten, unter anderem Passagen regelrechten „Mobbings“ unter Geistlichen, konnten wir das leer geräumte, staubig-düstere Innere des Gebäudes, das nach dem Krieg als Lagerhalle diente, mit lebendiger Imagination füllen. Der Verein Czas A.R.T. ist dabei, dem Gebäude neues Leben einzuhauchen. Möglicherweise soll dort eine polnisch-deutsche Begegnungsstätte entstehen. Im Zuge des Gesamtprojektes „Ein Herz für Kripplein Christi“ erfolgte am Tag unseres Besuchs eine große Krokuspflanzaktion: Begeistert rammten Jung und Alt Spaten in den Rasen, betteten kleine Krokuszwiebeln behutsam in die Löcher und deckten sie mit Erde zu. Daran beteiligten wir uns natürlich mit Feuereifer! Sogar das lokale Fernsehen war anwesend. Für sie war es wohl eine kleine Sensation, dass eine Gruppe deutscher Studierender Wschowa besuchte. Das musste von der Kamera in einem Beitrag festgehalten werden.

Anschließend hieß es für uns auf zur nächsten Etappe: Nach Leszno!

Leszno: Eine Stadt mit multikonfessioneller Vergangenheit

Zunächst erwartete uns die Besichtigung des Stadtmuseums Leszno. Was uns dort besonders beeindruckte, war ein Raum voller Sargportraits, die für polnische Adelige im frühneuzeitlichen Polen-Litauen nach etablierter Tradition angefertigt wurden. Kaum zu glauben, dass wir hier inmitten all der adligen Gestalten einen alten Bekannten aus dem Seminar „antrafen“: den Fraustädter Pastor und Historiker Samuel Friedrich Lauterbach (1662-1728). Er war der einzige lutherische Pfarrer, dem im Polen dieser Zeit ein Sargportrait verehrt wurde.

Nach dem Museumsbesuch folgte eine Stadtführung. Wir besichtigten eine Reihe von Gotteshäusern – und erhielten einen nachhaltigen Eindruck von der religiösen Vielfalt, die diese relativ kleine Stadt einst geprägt hatte. Böhmische Brüder, Lutheraner, Katholiken und Juden lebten hier im 18. Jahrhundert – einer Zeit voller religiöser und konfessioneller Konflikte – auf engstem Raum nebeneinander in gegenseitiger Toleranz, die durch immer wieder neue Kompromisse gewährleistet wurde. Heute werden die einst evangelischen Kirchen Lesznos als römisch-katholische Gotteshäuser mit polnischen Namen geführt. Informationstafeln verweisen auf ihre Geschichte.

Auf Wiedersehen!

Am Tag unserer Abreise sanken wir im Bus – erschöpft vom vielen Laufen – in die Sitze. Wir hatten eindrücklich erfahren, wie spannend es sein kann, einem Stück deutsch-polnischer Geschichte im religiös-konfessionellen Kontext nachzuspüren. In meinen Tagträumen stellte ich mir Pastor Samuel Jancovius vor, wie er an seinem Schreibpult einen spannenden Brief an Francke verfasst, oder Pastor Samuel Lauterbach, wie er stolz von seinem exquisiten Sargportrait herabblickt. Und ich versuchte mir in Gedanken auszumalen, wie die ehemalige Kirche Kripplein Christi zukünftig aussehen könnte, wenn sie in neuem Glanz erstrahlt – mit einer Wiese bunter Krokusse, die sich vor ihr ausbreitet.

Mit dieser schönen Vorstellung sende ich euch herzliche Grüße zu,

Jill-Francis Käthlitz

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„Post aus …“

In der Rubrik „Post aus …“ berichten deutsche Studierende, Praktikanten und Freiwillige von ihren deutsch-polnischen Erlebnissen. Sie schreiben über Erfahrungen und Eindrücke. Gleichzeitig vergleichen sie Deutschland und Polen und beschreiben Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Nachbarländer.

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