Im polnischen Studentenwohnheim

Ricarda vor ihrem Studentenwohnheim in Krakau. © Ricarda Lindau Ricarda vor ihrem Studentenwohnheim in Krakau. © Ricarda Lindau

In polnischen Wohnheimen spielt sich das wahre Studentenleben ab. Freuden und Ärgernisse gehören zum studentischen Alltag dazu. Neben interessanten Leuten aus der ganzen Welt kann man verschiedenen Kulturen kennenlernen und über den Tellerrand hinaus schauen. Für mich war von Anfang an klar: In meiner Studienzeit in Krakau lebe ich in einem Studentenwohnheim.

Ein polnisches Wohnheim bringt zahlreiche Studierende zusammen – meist mehr als ein deutsches – da es kaum Einzelzimmer zu beziehen gibt. Viel Toleranz sollte derjenige mitbringen, der auf wenigen Quadratmetern mit zwei oder drei anderen Studierenden zusammen leben möchte.

Mietpreise
Ein unschlagbarer Vorteil ist dabei der Preis: Bei einer monatlichen Miete von 370 PLN (ca. 90 Euro) fallen keine Nebenkosten an. Krakau ist im Vergleich mit anderen Studentenstädten für polnische Verhältnisse nicht billig. Die meisten Wohnheime liegen sehr zentral und deshalb lebt man günstiger als in einer Mietwohnung mit gleicher Lage. Strom, Wasser und Internet sind immer vorhanden, auch wenn man mit der Miete mal im Verzug ist. Andererseits ist für diesen Preis kein Luxus zu erwarten. Es gibt zahlreiche alte Wohnheime, die in die Jahre gekommen sind und eine Renovierung vertragen könnten. In der Gemeinschaftsküche blitzt es bei knapp 60 anderen Nutzern nicht immer und auch die sanitären Anlagen erstrahlen nicht vor Sauberkeit.

Einblick in ein Doppelzimmer. © Ricarda Lindau
Einblick in ein Doppelzimmer. © Ricarda Lindau

Teilen in der Gemeinschaft
Regelmäßig zur Verzweiflung treibt mich die Waschküche. „Sharing is caring“ lautet die Devise. Eigentlich ist die Organisation mit einem exakten Zeitplan für alle sieben Waschmaschinen gut durchdacht, aber einen freien Zeitraum zu erwischen, ist Glückssache! Es verlangt einer tagelangen Vorausplanung, wenn man morgens bzw. abends einen freien Termin bekommt. Dennoch sind es vor allem die Gemeinschaftsräume, in denen man neue Gesichter trifft. Ich schaue gern neugierig bei fremdartigen Kochkreationen zu oder verabrede mich mit Freunden zum gemeinsamen Essen. Viele Kommilitonen kann ich in Hausschuhen besuchen. Fast immer findet sich jemand für einen Small Talk am Postfach oder im Fahrstuhl.

Nachtleben und Entspannung
Das Nachtleben findet im gleichen Gebäude statt: Zwei Pubs, eine Disko und ein Kulturzentrum beherbergt das Wohnheim. Im kalten Winter ist das praktisch, da keiner aus dem Wohnheim austreten muss. Während der Juwenalia-Woche im Mai findet die Krönung statt: Jeden Abend gibt es direkt vor dem Wohnheim Live-Konzerte der beliebter polnischer Musiker. Jeder Bewohner bekommt es mit, ob er will oder nicht. Denn so viel Freude es auch macht, bei jedem Konzert ungefragt dabei zu sein, wünsche ich mir vor der Abgabe meiner Hausarbeit einfach nur Stille. Die berüchtigten Flurpartys bei uns nicht. Ich habe sie aber auch nicht vermisst, da ich im Verlauf des Semesters die Abenden mit langen Lektüren und Hausarbeiten verbracht habe.  Zum Entspannen fand sich abends immer ein freies Zimmer, in dem sich zwischen zahlreichen auf ein Bett gequetschten Leuten nette Gespräche entwickelt haben. Die geballte soziale Nähe ist ein Geschenk für jeden, der sich darauf einlässt.

Natürlich ist es auch möglich, in der Bibliothek zu lernen oder im Grüne zu verweilen. Der Stadtpark Błonia befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft. Die große Grünfläche bietet einen Panorama-Blick bis zum Kosciuszko-Hügel. Auch der kleine Jordan-Park ist nicht weit entfernt. Dort mache ich es mir häufig mit einem Picknick gemütlich oder nutze die kostenlosen Sportplätze für fast jede Sportart. Die Kombination aus lebendiger Großstadt und Natur ist ideal. Die Entspannung, die mir in dem kleinen Wohnheim-Zimmer oft fehlt, bekomme ich draußen.

Nur das eigene Bett bietet eine Rückzugsmöglichkeit. © Ricarda Lindau
Nur das eigene Bett bietet eine Rückzugsmöglichkeit. © Ricarda Lindau

Zusammenleben
Um sich in einem Mehrbettzimmer wohlzufühlen, sollten man zu den Mitbewohnern eine vertraute Beziehung haben. Meine mongolische Mitbewohnerin und ich kennen uns ungeschminkt nach dem Aufwachen, im Abgabestress, im Partylook vorm Ausgehen, beim Filmeabend im Schlafanzug und in jeglicher Gefühlslage. Am Anfang war es für mich als Einzelkind nicht immer leicht, aber inzwischen ist es irritierend, wenn ich mal alleine einschlafen muss! Auch das lernt man im Wohnheim: Kompromisse eingehen und über Probleme sprechen.

Zimmer-Vermietung an Touristen
In den sommerlichen Semesterferien, die drei Monate lang dauern,  fahren die meisten polnischen Studenten zurück zu ihren Familien. Wer ein Zimmer im Wohnheim hat, dem bleibt auch keine andere Wahl: Die Verwaltung vermietet die Betten an Touristen, denn im Sommer ist jeder Schlafplatz begehrt. Dafür müssen wir unsere Habseligkeiten ausräumen bis die großzügigen Stauflächen der Holzmöbel frei sind. Der Kühlschrank wird in den Keller geräumt, die Teller und Töpfe bei Freunden untergestellt und das Zimmer leergefegt. Auch ich habe das Vermieten auf Zeit ausprobiert. Wie viele andere habe ich für die vorlesungsfreie Zeit alle persönlichen Spuren in meinem Zimmer weggerüumt. Anfang Oktober hieß es dann Schlange stehen, um den Schlüssel und alle Habseligkeiten zurück zu bekommen. Der Start ins neue Jahr fällt leichter, da zahlreiche Freunde und Mitstudenten am gleichen Tag im gleichen Gebäude eintreffen, um gemeinsam ins nächste Semester zu starten.

Fazit
In einem polnischen Studentenwohnheim zu wohnen, kann ich aufgeschlossenen Menschen, die gern in der Gemeinschaft leben und sich auf fremde Kulturen einlassen, empfehlen. Besonders  für Erstsemester eignet sich diese Form des Wohnens, da ein großer Teil von ihnen aus einer anderen Stadt oder einem anderen Land kommt, und den Krakauer Wohnungsmarkt nicht kennt. Alle Wohnheime haben eine gute Lage und sind so ausgestattet, dass nicht viel mitgenommen werden muss. Etwa zwei gepackte Koffer reichen. Für orientierungslose Neulinge findet sich immer eine helfende Hand und eine große Anzahl an potenziellen neuen Freunden. Wer Kontakte knüpfen möchte, sollte allerdings ein geringes Bedürfnis an Privatsphäre und eine Toleranz für Lautstärke mitbringen. Für mich war das mit meiner liebenswerten Mitbewohnerin alles kein Problem. Da sie allerdings bald auszieht, begebe ich mich nun ins nächste Abenteuer: in eine polnische WG! Was mich da erwartet, berichte ich gern im nächsten Artikel „Alltag einer polnischen WG“!