Grenzenloser Dialog

Botschafter Rolf Nikel in seinem Büro in der deutschen Botschaft Warschau. © Natalie Junghof

Ein Interview mit dem deutschen Botschafter Rolf Nikel

Als deutscher Botschafter hat Rolf Nikel eine wichtige Funktion in den deutsch-polnischen Beziehungen. Im Interview mit Grenzenlos sprach er unter anderem über Polens Entwicklung in der Europäischen Union, die Bedeutung des Jugendaustausches und Herausforderungen in der deutsch-polnischen Zukunft.

Sie sind seit einem Jahr Botschafter in Polen. Wie beurteilen Sie Ihre bisherige Zeit hier?

Meine Frau und ich fühlen uns in Warschau sehr wohl. Wir sind glücklich, in diesem Land zu leben und zu sehen, wie es sich entwickelt. Bereits auf früheren Reisen hat mich stark beeindruckt, welche dynamische Entwicklung Polen in den vergangenen Jahren genommen hat. Insbesondere seit dem Beitritt zur Europäischen Union.

Welche Aufgaben hat der deutsche Botschafter in Polen?

In der deutschen Botschaft in Warschau kümmern wir uns um die deutsch-polnischen Beziehungen. Das heißt, wir wollen die Menschen aus beiden Ländern zusammenbringen. Dabei sind wir auf verschiedenen Ebenen aktiv. Auf der staatlichen organisieren wir Besuche von Regierungsvertretern und Abgeordneten aus dem parlamentarischen Bereich. Auf einer weiteren Ebene stehen Städtepartnerschaften und wirtschaftliche Kontakte. Wir unterstützen auch alle diejenigen, die sich auf unterschiedliche Weise für die deutsch-polnischen Beziehungen engagieren. Das sind zum Beispiel Menschen wie Lukas Podolski oder Politiker wie Jerzy Buzek. Ein wichtiges Anliegen ist für uns auch, junge Menschen zusammenzubringen.

Sie haben bereits in anderen Botschaften gearbeitet. Wie unterscheiden sich Ihre Aufgaben in Polen von denen in anderen Ländern?

Botschafter bin ich zum ersten Mal. Vorher war ich Angehöriger einer Botschaft. Meine Aufgabe ist es nun vor allem, Deutschland in Polen zu repräsentieren. Insofern ist es auch eine große Herausforderung für mich, aber es macht viel Spaß, weil die Polen es mir leicht machen. Meine Frau und ich sind sehr freundlich aufgenommen worden, und wir sind begeistert von diesem Land und seinen Menschen.

Welche Herausforderungen gibt es in Ihrer Arbeit und damit in den deutsch-polnischen Beziehungen?

Die deutsch-polnischen Beziehungen sind heute im Wesentlichen geprägt von der gemeinsamen Arbeit an multilateralen Themen. Dabei geht es um die Fragen: Wie gestalten wir die Zusammenarbeit in der Europäischen Union? Wie stellen wir uns gemeinsam den Aufgaben und Problemen? Die Hauptthemen, denen wir uns zurzeit stellen, sind etwa die Ukraine-Krise, der Umgang mit Russland, die Flüchtlingspolitik und dazu globale Themen, wie zum Beispiel Klimawandel, Umweltschutz und die Krise in Griechenlands Wirtschaft. Bilaterale Themen im engeren Sinn, die früher auf der Agenda standen, sind heute in den Hintergrund getreten, weil Polen und Deutschland Mitglieder derselben Organisationen sind, wie NATO und Europäische Union.

Die gemeinsame Geschichte spielt im deutsch-polnischen Verhältnis noch immer eine Rolle. Kann von einem „normalen Lauf“ überhaupt gesprochen werden?

Es ist klar, dass die Last der Geschichte uns nicht verlässt. In der Vergangenheit wurde Polen unter dem Nazi-Regime in deutschem Namen und von deutscher Hand unendlich großes Leid zugefügt. Das können und wollen wir nicht vergessen, sondern wir stellen uns dieser Vergangenheit und versuchen, die richtigen Lehren für die Zukunft zu ziehen. Wir haben heute eine große Normalität in den Beziehungen erreicht. Ich empfinde sie als die besten, die wir je in der Geschichte gehabt haben.

Im Auftrag der deutsch-polnischen Beziehungen in Warschau: Botschafter Rolf Nikel. © Natalie Junghof

In der jungen Generation gibt es viele Polen, die nach Deutschland reisen. Auf polnischer Seite ist das Interesse damit sehr groß. Warum sollten auch deutsche Jugendliche nach Polen kommen?

Es gibt hier viel zu sehen. Das Land ist kulturhistorisch sehr reich. Es ist zudem ein dynamisches Land, das eine interessante wirtschaftliche Entwicklung durchläuft. Polen hat seit dem Beitritt zur Europäischen Union 2014 ein Wirtschaftswachstum von circa 30 Prozent erreicht und damit den höchsten Wert in der Europäischen Union. Es ist spannend zu sehen, wie die Menschen sich der neuen Situation nun mit mehr Selbstvertrauen stellen.
Außerdem hat sich die Infrastruktur gut entwickelt. Es ist heute ganz einfach zu reisen. Auf der Autobahn kommt man schnell von Berlin nach Warschau. Es gibt täglich mehrere Flugverbindungen, sodass es sehr einfach geworden ist, das andere Land zu erreichen. Was ich neben den Möglichkeiten mindestens genauso wichtig finde, ist die subjektive Einstellung: Deutsche Jugendliche sollten den Schritt wagen zu reisen. Die jungen Menschen müssen Mut fassen und werden sehen, dass sich Aktivität lohnt.

Was können Jugendliche aus Polen und Deutschland voneinander lernen?

Ich glaube, es gibt durchaus noch nationale Eigenheiten, die durch einen Austausch besser zu verstehen sind. Das hilft, die Stereotype zu überwinden, die wir immer noch sehen. Wir sind Nachbarn, und vieles, was die Menschen kennenlernen, trägt dazu bei, das Verhältnis zu verbessern. Eine ganze Menge kann man dabei voneinander lernen. Ich habe zum Beispiel gelernt zu improvisieren. Viele Dinge laufen in Polen spontan oder anders als geplant. Improvisation ist dabei in vielen Situationen sehr hilfreich.

Ist Polnisch nicht eine unüberwindbare Sprache für den Großteil der Menschen in Deutschland?

Sie sprechen einen wunden Punkt an. Auch ich als deutscher Botschafter in Polen kämpfe mit der Sprache. Sie ist schön, aber gleichzeitig sehr schwierig. In der Tat ist die Sprachbarriere ein Hindernis, das man jedoch überwinden kann. In Polen gibt es über 2 Millionen Menschen, die Deutsch lernen. Und auch die Bundesländer in Deutschland, insbesondere die in den Grenzgebieten, bieten Polnisch-Sprachkurse an. Mein Eindruck ist, da tut sich einiges, aber es muss natürlich auch die Nachfrage da sein. Polnisch konkurriert mit anderen Sprachen, die vielleicht nicht so schwierig sind. Wenn Angebot und Nachfrage zusammenkommen, kann ich mir vorstellen, dass sich in Zukunft noch mehr ergibt. Und in dem Maße, in dem Polen weiterhin wirtschaftlich erfolgreich ist, wächst der Einfluss auf die Motivation von Deutschen, Polnisch zu lernen.

Was wünschen Sie sich für die deutsch-polnische Zukunft?

Ich glaube, wir haben es in der heutigen Situation mit sehr vielen Herausforderungen zu tun, denen viele Staaten allein nicht begegnen können. Es ist wichtig, dass die Länder zusammenstehen und gemeinsam Führung übernehmen. Dadurch kann sich die Europäische Union auch in Zukunft positiv entwickeln. Ich würde es begrüßen, wenn Polen als großes Mitgliedsland mit 38 Millionen Einwohnern eine noch stärkere Führungsfunktion in der Europäischen Union übernimmt. Dass Deutschland, Frankreich und Polen – das sogenannte Weimarer Dreieck – sich noch enger gemeinsamen Herausforderungen stellen. Und dass damit ein Prozess des stärkeren Selbstvertrauens in die eigenen Fähigkeiten sichtbar wird, was Polen in der Europäischen Union bewirken kann.

Wie bringen Sie sich in diesen Prozess ein?

Wir leben als Diplomaten meistens drei bis vier Jahre in dem Land, und das ist für diese Zeit unser Zuhause. Wir haben natürlich die Sichtweise aus Deutschland, und wir verfolgen die Debatte dort wie in dem Land, in dem wir arbeiten. Wir versuchen zuzuhören und herauszufinden, was die Menschen jeweils dort bewegt, wo wir Deutschland vertreten, und kommunizieren diese Informationen zurück, um denjenigen, die Verantwortung tragen, eine gesicherte Grundlage zu geben, auf der sie Entscheidungen treffen können. Mein Eindruck ist, dass der Botschaft in Warschau das bisher ganz gut gelungen ist!

Über Rolf Nikel

Rolf Nikel ist seit April 2014 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland und damit Vertreter des Bundespräsidenten in Polen. Als Botschafter sorgt er für die Vertiefung der deutsch-polnischen Beziehungen. Zu seinen zentralen Aufgaben gehört der enge Kontakt zur polnischen Regierung sowie Kultur- und Geschäftswelt. Nikel studierte Politologie, Ökonomie und internationales Recht. Er war unter anderem in den Botschaften Moskau, Nairobi, Washington und Paris tätig. Nikel spricht Englisch, Französisch, Russisch und lernt Polnisch.